Dezember 9, 2024

Larissa Kapitel 7

Leonie wartet vor dem Realschulgebäude auf mich. Unter ihrem Arm trägt sie ein Skateboard und nachdem wir das Schulgelände verlassen haben, steigt sie auf, fährt aber so langsam, dass ich problemlos neben ihr hergehen kann. Leonie und ihre Familie wohnen nur wenige Straßen von der Schule entfernt, zu Fuß ist man ungefähr zehn Minuten unterwegs. Schließlich bleiben wir vor einem Eisentor stehen, das Leonie mit einem Schlüssel öffnet und durch das wir in einen Innenhof mit mehreren kleinen Häusern gelangen. Zwinkernd verrät sie mir, dass es auch eine Stelle gibt, an der man leicht über die Mauer klettern kann. Dazu muss man sich vorher von der Straßenseite aus allerdings zwischen der Mauer und der Hecke hindurchzwängen. Noch erstaunter bin ich allerdings, als sie ihre Schultasche einfach durch ein offenes Kellerfenster wirft und ihr Skateboard hinterherschiebt (das allerdings deutlich behutsamer). Sie läutet dreimal, sperrt dann die Haustür auf und wir betreten ihr Haus. Hier ist es ganz anders als bei mir zuhause. Wir wohnen in einem Holzhaus und bei uns im Flur gibt es einen Sitzbereich, wo man sich die Schuhe auszieht und eine Garderobe mit Kleiderbügeln für die Jacken. Bei Leonie gibt es nur ein paar Haken mit Jacken an der Wand, ein paar wurden aber auch achtlos auf eine kleine Kommode geworfen. Unter der Treppe, die nach oben führt, stapeln sich Schuhe, ohne dass ich auf den ersten Blick erkennen könnte, welche Schuhe zusammengehören. Ich entscheide mich aber dafür, meine Sandalen doch nebeneinander zu stellen und nicht einfach auf den Schuhberg zu werfen. Leonie lässt ihre Straßenschuhe einfach an und öffne eine Tür auf der anderen Seite des Flurs, die über eine Treppe in den Keller führt. Hier gibt es einen Gang mit zwei Türen auf jeder Seite und einer weiteren am anderen Ende. Wir gehen durch die erste Tür auf der rechten Seite und kommen in ein Zimmer, das ungefähr so chaotisch ist, wie es meines auch wäre, wenn mich meine Eltern nicht regelmäßig zum Aufräumen zwingen würden.

Unter dem Fenster steht ein in die Jahre gekommenes Sofa, auf dem Leonis Rucksack und ihr Skateboard liegen. Es gibt einen Couchtisch, auf dem eine riesige Flasche Eistee und mehrere Packungen Chips und Erdnussflips herumliegen. An der Wand gegenüber vom Fenster hängt ein Fernseher, der auch schon bessere Tage gesehen hat. An den anderen Wänden hängen uralte Poster von Bands, die ich nicht kenne. Außerdem steht auf einem kleinen Wandregal eine alte Musikanlage und in den Fächern darunter stapeln sich CDs, DVDs und Zeitschriften. Dazwischen befinden sich noch ein paar Schuhkartons und Aktenordner.

„Oh, äh. Das ist also dein Zimmer?“ frage ich Leonie schließlich.

„Nope. Also schon. Das hier ist mein Wohnzimmer. Mein Schlafzimmer ist oben. Das zeige ich dir später noch. Das war früher das Zimmer von meiner Tante. Also mein Vater und sie sind hier aufgewachsen und als ich geboren wurde, sind meine Großeltern in eine andere Wohnung gezogen, so eine speziell für alte Leute, ohne Treppen und so. Meine Tante hat noch hier gewohnt, als ich in der Grundschule war. Sie ist eh noch voll jung. Und sie war früher übrigens auch an unserer Schule. Jedenfalls hat sie jetzt endlich eine eigene Wohnung, aber die ganzen Sachen hier sind noch von ihr“. Jetzt fallen mir zwischen den Postern auch einige Fotos von einem Mädchen und ihren Freundinnen und Freunden auf. Die sehen aber noch gar nicht so alt aus und das Mädchen, das Leonies Tante sein muss, wirkt richtig jung.

„Wie alt ist denn deine Tante?“ frage ich nachdenklich.

„Äh, fünfundzwanzig, glaube ich. Oder sechsundzwanzig? Nee, doch fünfundzwanzig, aber sie hat bald Geburtstag“.

„Krass. Und wie alt sind deine Eltern?“

„Papa ist zweiunddreißig, Mama dreißig. Ja, sie war siebzehn, als sie mich bekommen hat und mein Papa neunzehn. Eigentlich viel zu jung, ich weiß“. Ich überlege. Meine Eltern sind auch noch ziemlich jung. Dad ist sechsunddreißig, Mum vierunddreißig. Eigentlich ist der Unterschied gar nicht so groß. Aber ich könnte mir überhaupt nicht vorstellen, in drei Jahren schon Mutter zu werden. Ich meine, das Leben fängt doch erst mit achtzehn so richtig an, wenn man endlich nicht mehr nur gehorchen muss, sondern auch selbst über sich entscheiden kann. Aber mit einem Baby ist die Freiheit doch gleich wieder vorbei. Vielleicht sind meine Eltern ja deswegen so streng, weil sie wissen, dass ich dann mit achtzehn erstmal leben und nicht gleich schwanger werden will. Aber ich glaube, das liegt eher daran, dass beide selbst noch viel strengere Eltern hatten und man ihnen gesagt hat, dass es bei Kindern mit ADHS besonders wichtig ist, Grenzen zu setzen und klare Regeln aufzustellen. Das erklären sie mir auch ungefähr jedes zweite Mal wenn sie mich bestrafen.

„Sag mal, im Trainingsraum hast du mir doch erzählt, dass du noch nie Hausarrest hattest, oder?“

„Genau. Wieso?“

„Ich weiß nicht, wie ich jetzt darauf komme. Keine Ahnung. Irgendwie geht es für mich in letzter Zeit nur noch darum, keine Strafen zu bekommen, oder wenigstens nicht zu viele. Also ich kriege wegen jedem Mist Hausarrest, nur bei Kleinigkeiten muss ich in der Ecke stehen oder Sätze schreiben. Also zum Taekwondo und zum Kickboxen gehe ich noch voll gerne, aber in der Schule muss ich immer total aufpassen, dass ich nicht in den Trainingsraum fliege oder nachsitzen muss und vor allem, dass ich keine Elternbriefe bekomme, damit ich keinen Hausarrest kriege, weil ich sonst auch meine Freunde überhaupt nicht mehr sehen kann. Ich bin sowieso schon irgendwie voll die Außenseiterin, weil ich mein Handy so früh abgeben muss und abends nicht mehr raus darf. Oh, sorry. Jetzt quatsche ich dich die ganze Zeit voll. Äh, ich glaube, ich erzähle das jetzt, weil ich mir irgendwie nicht vorstellen kann, wie das ist, nicht für jeden Blödsinn bestraft zu werden“.

Leonie sieht mich nachdenklich an.

„Nee, bei uns gibt es keine Strafen. Meine Eltern sind da voll locker. Ich glaube, die haben früher selbst genug angestellt. Mama zumindest und Papa macht eh alles, was Mama sagt, oder was ich ihm sage“. Leonie lacht. „Ich glaube, ich kann dir bei deinen Problemen helfen“. Sie nimmt ihr Handy aus der Tasche und ruft jemanden an.

„Hey, wo bist du? … Ja, komm her, Mann! Und bring mein altes Handy mit. Und Chips und Cola. Und nicht diesen Billigmist. Ich weiß, dass du wieder Geld hast, und du schuldest mir was“. Leonie legt einfach auf und grinst. „Mach dir keine Sorgen. Bei mir bist du in guten Händen. Vertrau einfach deiner großen Schwester“. Wieder verfalle ich in Bewunderung für Leonie. Schade, dass ich nicht so frech sein kann. Spaß machen würde es sicher, aber dann hätte ich nur noch Hausarrest, oder könnte gleich in den Trainingsraum einziehen. Neugierig durchsuche ich die CD Sammlung von Leonies Tante und kurze Zeit später tanzen wir zu Rihanna, Shakira, Pink, Seed und den Ärzten. Leonie springt dabei auf dem Sofa auf und ab und fliegt dabei voll auf die Nase, aber sie lacht nur und macht gleich weiter, aber jetzt bei mir auf dem Boden. Dann erschrecke ich mich total. Auf einmal sitzt nämlich jemand auf dem Sofa. Ich bin mir nicht sicher, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist. Die Person hat jedenfalls schulterlange schwarze Haare, trägt ein kurzärmliges schwarzes Hemd, darunter aber irgendetwas enganliegendes mit langen Ärmeln und aus ganz dünnem Stoff und dazu eine löchrige, schwarze Leggins und darunter eine Strumpfhose. Die Person hat es sich auf dem Sofa gemütlich gemacht, die Füße in der ebenfalls löchrigen Strumpfhose auf den Tisch gelegt (der linke große Zeh schaut heraus) und isst Chips, während sie uns beim Tanzen zusieht, beziehungsweise sieht sie mir jetzt dabei zu, wie ich sie vollkommen verwirrt anstarre.

„Da bist du ja. Sag mal, isst du die Chips jetzt etwa selbst? Hallo?“ begrüßt Leonie die neue Person.

„Hi, ich bin Larissa“ melde ich mich zu Wort. Leonie und der Gast sehen mich an. „Ach ja, richtig. Larissa, das ist Tony“ macht sie mich mit dem Besuch bekannt. Tony steht auf und reicht mir mit einer Verbeugung die Hand. Das sieht zwar sehr elegant, aber auch total komisch aus und ich muss kichern. „Nun, es ist mir eine Ehre, deine Bekanntschaft zu machen. Leonies Freunde sind auch meine Freunde. Bitte verzeih, falls dich mein plötzliches Erscheinen erschreckt hat. Falls du dich fragst, wie ich hereingekommen bin- nun, sagen wir, ich bin mysteriös und existiere auf verschiedenen Ebenen…“

„Ach so, ich dachte, du wärst durch das Fenster gekommen“ bemerke ich verunsichert.

„Tony, lass den Blödsinn. Du bist nicht mysteriös, sondern ganz normal durchgeknallt. Und wenn du nicht sofort die Chips rausrückst, existierst du gleich auf gar keiner Ebene mehr“ wirft Leonie ein.

Toni stellt sich vor Leonie auf, hebt die Chipstüte so hoch, dass Leonie sie nicht greifen kann und grinst sie frech an. „Na, willst du sie dir holen?“ Statt zu antworten, schmeißt sich Leonie auf Tony und kurz darauf wälzen sich die beiden auf dem Boden. Schnell gelingt es Leonie, die Chipstüte in ihre Gewalt zu bringen, legt sie aber vorerst zur Seite und kitzelt Tony durch. Tony kann sich vor Lachen kaum wehren und ruft „Hör auf! Hahaha Haha! Okay, hihihi, du hast gewonnen- hihihi- bitte hör auf!“ Zu gerne würde ich mich mit in das Getümmel schmeißen, aber ich kenne Leonie noch nicht so gut und Tony überhaupt noch nicht. Daher mache ich das, was Tony vorher gemacht hat. Ich setze mich auf das Sofa, lege die Füße auf den Tisch und esse Chips.

„Hey, pass auf! Jetzt frisst Larissa dir die Chips weg!“

Leonie sieht mich streng an. „Pass bloß auf, die Chips gehören mir. Da verstehe ich keinen Spaß. Bei Chips hört die Freundschaft auf. Oder muss ich dich erst zwingen?“

Ich grinse Leonie frech an und stecke mir noch ein paar Chips in den Mund. Eine Sekunde später zieht Leonie mich von dem Sofa. Sie hat mehr Kraft als ich ihr zugetraut hätte. Jetzt werde ich durchgekitzelt. „Los, hilf mir Tony!“ brüllt Leonie und schon liegen beide auf mir und kitzeln mich durch. Mir gelingt es, mich aus Leonies Griff zu befreien und sie mit meinen Beinen zu umklammern. Gleichzeitig bekomme ich ein Bein zu greifen und kitzle Tonys Fuß. Tony bekommt sich gar nicht mehr ein vor Lachen, aber Leonie kann sich befreien und beginnt nun, mich mit einem Sofakissen zu vermöbeln. Lachend kapituliere auch ich. Das Ganze erinnert mich an das Verhalten von Hunden, die mit Spaßkämpfen die Hierarchie im Rudel ausmachen. Wenn es ein ernsthafter Kampf wäre, würde ich eindeutig gewinnen, da ich sehr sportlich bin und mich mit Kampfsport auskenne. Aber so macht es mir viel mehr Spaß, Leonie gewinnen zu lassen.

Vollkommen zerzaust sitzen wir nun zu dritt auf dem Sofa, Leonie in der Mitte mit der Chipstüte in der Hand. Tony bietet mir die Colaflasche an. Eigentlich mag ich keine Cola, aber da es mir meine Eltern verbieten, greife ich in einem Anflug von Rebellion zu und gönne mir einen großen Schluck.

„Hast du das Handy dabei?“ fragt Leonie, nachdem wir wieder zu Atem gekommen sind. „Klar“. Tony holt ein Smartphone aus dem Rucksack und reicht es Leonie. „Ist sogar aufgeladen“. „Perfekt!“ „Bitte schön!“ wendet sie sich an mich und überreicht mir das Handy. Ich sehe sie fragend an. „Naja, du musst doch dein Handy immer so früh abgeben. Jetzt hast du ein zweites Handy, von dem deine Eltern nichts wissen. Du musst es nur gut verstecken. Es ist eh eine Sim-Karte mit Guthaben drin. Du musst nur die wichtigsten Kontakte übertragen. Meine Nummer ist eh eingespeichert. Aber speichere deine Eltern nicht ein, sonst schreibst du ihnen noch versehentlich über das Handy und sie kassieren es gleich ein“. Jetzt wendet sie sich wieder Tony zu: „Noch eine Sache. Larissa braucht deine Schreibkünste“. Wieder einmal verstehe ich gar nichts. Tony nickt. „Verstehe. Hast du eine Probe da?“ „Äh, Larissa, du hast doch bestimmt einen Trainingsraumzettel in der Schultasche, oder irgendetwas, wo deine Eltern unterschrieben haben?“ Meine Schultasche habe ich oben gelassen, also hole ich sie schnell und leere sie auf dem Boden aus, weil ich sonst gar nichts finde. Tatsächlich habe ich den letzten unterschriebenen Trainingsraumbrief noch in der Tasche. Den hätte ich heute eigentlich bei einem meiner Klassenlehrer abgeben sollen, also bei Herrn Yilmaz oder Frau Stevens. Ich möchte Leonie den Zettel reichen, aber Tony reißt ihn mir aus der Hand und schnippt mit den Fingern. „Blatt und Stift bitte!“ Leonie kramt im Regal herum und übergibt Tony einen Block und einen Kugelschreiber. Tony schlägt den Block auf und runzelt die Stirn. „Hä? Ist der Block von deiner Tante? Das Datum auf diesem Blatt ist von vor zehn Jahren… Egal“.

Tony räumt den Tisch frei und legt den Block und meinen Trainingsraumbrief nebeneinander und beginnt auf dem Blatt die Unterschrift von meiner Mum nachzumachen. Zunächst eine übergroße Abschrift auf ein einzelnes Blatt im Querformat. Tony wirkt äußerst konzentriert und betrachtet die originale Unterschrift vor jedem Buchstaben mehrfach. Einige Stellen werden umkringelt und mit Notizen versehen, die ich aus der Entfernung nicht genau erkennen kann. Nun folgen auf einem zweiten Blatt Unterschriften in der Größe des Originals. Schon die ersten Versuche sehen dem Original verblüffend ähnlich, aber Tony nimmt es anscheinend sehr genau und wirkt erst nach ungefähr dreißig Abschriften einigermaßen zufrieden. Ich vergleiche seine Unterschriften mit denen meiner Mum und kann beim besten Willen keinen Unterschied erkennen. Tony ist anscheinend wirklich äußerst talentiert. Aber wozu das Ganze? Mir ist schon klar, dass Leonie vorhat, Tony anstelle meiner Eltern irgendwelche Briefe unterschreiben zu lassen, aber der Trainingsraumbrief ist ja schon unterschrieben und eine andere Unterschrift brauche ich gerade nicht. Außerdem bekommt man für eine gefälschte Unterschrift bestimmt wahnsinnigen Ärger.

„Gut, das nehme ich mit“. Tony steckt die Blätter ein und fotografiert mit seinem Handy noch meinen Trainingsraumbrief ab. „Wer auch immer in Hogwarts um Hilfe bittet, wird sie auch bekommen. Ich sagte ja, dass Leonies Freunde auch meine Freunde sind“. Tony hebt die Hand und bietet mir High Five an. Ich schlage ein, bin mir aber sicher, dass ich das Angebot nicht annehmen werde.

Bevor Tony und ich uns verabschieden, zeigt Leonie mir noch ihr Zimmer. Außer ihrem Bett gibt es einen Kleiderschrank und ein Regal mit mehreren Skateboards. Neben der Tür steht ein Paar Inliner und neben dem Bett steht eine Kiste, die aussieht wie eine Schatzkiste aus einem Piratenfilm. Passend dazu hängt über ihrem Bett auch ein dreieckiges Piratentuch mit Totenkopf und so. Natürlich herrscht auch hier ein riesiges Chaos. Überall liegen Socken, Shirts, Hoodies und andere Sachen verteilt. Aber schmutzig ist es nicht. Tony und ich verabschieden uns mit einer Umarmung von Leonie und machen uns gemeinsam auf den Heimweg. Tony muss zum Bahnhof, weil er in einer anderen Stadt wohnt. Ich begleite Tony, da ich auch am Bahnhof in meinen Bus einsteigen kann. Da es noch einmal schön warm ist, nehme ich meine Sandalen wieder nur in die Hand und gehe ohne Schuhe. „Cool, bist du öfter barfuß?“ fragt mich Tony. Ich nicke. „Würde ich jetzt auch voll gerne, aber ich habe leider eine Strumpfhose an. Aber zuhause mache ich das auch gerne“. Unterwegs erfahre ich, dass Tony früher an meiner Schule, einen Jahrgang über mir war, aber dort gemobbt wurde, weil er eigentlich ein Junge ist, sich aber mehr wie ein Mädchen verhält und auch so kleidet. Deshalb wurde er sogar verprügelt. Mit der Zeit so schlimm geworden, dass die anderen Jungs ihn beim Sport nicht mehr in die Umkleidekabine gelassen haben und er sich auf dem Flur umziehen musste. Auch in der Nachbarschaft ist es wohl ziemlich schlimm gewesen. Einige Nachbarn haben ihren Kindern sogar verboten, mit Tony befreundet zu sein. Darum ist seine Familie letztes Jahr in die Nachbarstadt gezogen und er geht dort für sein letztes Schuljahr auf eine Privatschule. Nächstes Jahr will er in derselben Stadt auf das Oberstufenkolleg gehen, das dafür bekannt ist, dass dort vor allem alternative Lehrerinnen und Lehrer unterrichten und auch die Schülerinnen und Schüler ziemlich offen sind. Ich habe auch schon gehört, dass es da nicht so streng zugeht und niemand etwas sagt, wenn man zehn Minuten zu spät kommt. Leider kann man da erst ab der elften Klasse hin. Während ich mit Tony zum Bahnhof gehe, fühle ich mich so wohl wie schon lange nicht mehr. Der Nachmittag mit den beiden hat mir unendlich gutgetan und ich habe mich wieder wie ein Kind gefühlt. Das war früher auch mit Carina und meinen Jungs so, aber Carina ist mittlerweile eine typische Teenagerin und möchte nicht mehr herumtoben. Mit den Jungs geht das schon, aber da fühle ich mich immer auch wie eine große Schwester, die auf ihre kleinen Brüder aufpasst. Mit Leonie und Tony hatte ich heute das Gefühl, dass ich mich einfach fallenlassen kann und auf niemanden aufpassen muss, noch nicht einmal auf mich selbst. Ich finde es auch schön, dass Tony so offen mit mir redet und wir uns sehr persönliche Dinge anvertrauen, obwohl wir uns erst seit heute kennen. Schade, dass wir uns jetzt verabschieden müssen. Mein Bus kommt ein paar Minuten vor Tonys Zug und auch wir verabschieden uns mit einer sehr langen und herzlichen Umarmung.

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